Vorschnelle Deutungen
- Suche nach rationalen Erklärungen: W-Frage wird nur rational gesehen
- Abwehr, um nicht am eigenen Selbst dem Schmerz begegnen zu müssen (psychoanalytisch)
- Sofort als grundsätzliche Frage nach dem Sinn von Krankheit / nach letztem Sinn von Schicksal verstanden
- Sofort als religiöse Frage „Gott und das Leid“ verstanden
Wenn gleich so verstanden, wird man der W-Frage nicht gerecht.
Motive für die Warum-Frage
- Wenn es eine konkrete Ursache gäbe, könnte man das wenigstens rational einordnen, oder nachträglich etwas tun oder in Zukunft vermeiden / Wunsch nach Kontrolle / hätte ich doch Einfluss darauf (gehabt) / kann das jetzt immer wieder passieren oder habe ich wenigstens in Zukunft die Kontrolle über mein Schicksal?
- Vermeiden einer Wucht von Gefühlen und gleichzeitig Eröffnung der Gefühlsdimension
- Eine erste Stresshilfe / Dampf ablassen / Grübeln als Stresshilfe
- Mit der W-Frage habe ich wenigstens noch einen Faden in der Hand, um nicht ganz ohnmächtig zu sein
- Versuch, sich auf rationale „Sinninseln“ zu retten – wenigstens für kurze Zeit
- Ausbruch von Angst / Wut / Anklage / Protest
- Suche nach Gerechtigkeit (allen anderen geht es gut)
- Vermeiden von totaler Sinnlosigkeit – etwas dagegen aufbieten können / Aufbau von Kohärenz / einen „Grund“ finden
- Zurückgehen an den Ort, die Zeit, wo das Leben noch in Ordnung war / wenigstens gedanklich die Welt „in Ordnung“ denken können, in der man ja weiterleben möchte / Suche nach der früheren Ordnung
- Ringen um Bedeutung und Selbstwert
- Frage nach Schuld / Verdienst (das habe ich nicht verdient“ – vor wem / von wem?), dann wäre ich / wäre jemand schuld, aber die übrige Welt wäre noch in Ordnung (z. B. für meine Familie …)
- Reduktion von Komplexität / der Unerklärlichkeit des Schicksals („Strafe“ als Deutung ist wenigstens eine Erklärung – eine Erklärung ist besser als nichts!)
Letztlich ist die W-Frage
- Ein häufiger Verarbeitungsmodus bei Schicksalsschlägen – und von daher „normal“. Diese Sicht entdramatisiert die W-Frage.
- Ausdruck von Unfassbarkeit und Trauer. So gesehen will sie keine sofortige Antwort – erst recht nicht rational („so groß ist mein Leid“). Eins schnelle Antwort wirkt eher zynisch. Auch die sofortige Verwandlung in die „Wozu“-Frage ist vorschnell, will ausweichen, sucht schnelle Lösung.
- Zutiefst eine Frage nach der Verlässlichkeit des Lebens (G. Hartmann): Bisher war das Leben offensichtlich verlässlich. Daher Suche nach neuer Verlässlichkeit / Existenzsicherung. Daher Strategie der Seelsorge: Suche nach Verlässlichkeit auf der Identitäts- und Spiritualitätsebene / Stärkung von Identität und Bedeutung als „Nest“ für die Trauer in der W-Frage.
Frage: Wenn die W-Frage psychoanalytisch angegangen wird (Abwehr von Schmerz, Suche nach Kontrolle etc.), wo bleibt dann die existenzielle Dimension? Beim „Nestbau“ bleibt die Würde der Trauer / des Existenziellen erhalten. W-Frage mündet (nach Nestbau ) in stille Trauer.