Wenn ein Patient gerade verstorben ist –
Hilfen zum Abschiednehmen am Totenbett.
Wenn ein Mensch stirbt, dann ist das ein elementar wichtiger/einschneidender Moment für die An- und Zugehörigen (die Nahestehenden) – auch wenn die Beziehungen nicht ideal waren. Im Augenblick des Todes findet eine existenzielle „Versetzung“ des Lebens statt: alle (nicht nur der Patient) werden von einem Augenblich auf den nächsten in einen anderen Zustand versetzt:
Sterbetrauer
——–
Weiterlebetrauer
Todestrauer
Die Todesfeststellung durch Arzt und Ärztin stellt für die Betroffenen einen Ab-riss in ihrem Leben dar. Dieser „Riss“ braucht eine „Therapie“. Die Professionellen haben hier die Aufgabe, diesen Riss zu heilen, indem sie diesen Augenblick gestalten. Hilfen beim Abschiednehmen am Totenbett haben eine erheblich positive Auswirkung auf die Zeit nach dem Tod – die Weiterlebetrauer. Die Aufgabe der Professionellen ist es nicht, die Trauer wegzumachen, oder sie zu mindern, sondern eher, der Trauer Raum zu geben und den ersten Momenten Gestalt zu geben, damit der Augenblick am Totenbett für die Betroffenen nicht zu einer Leerstelle in ihrem Leben wird. „Da fehlt mir etwas“, sagen sie später – oder, wenn ein Abschied stattgefunden hat: „Das war uns ganz wichtig – das vergißt man nie“.
Für die Medizin ist der Eintritt des Todes ein Zeitpunkt. Für die Angehörigen ist das aber ein Prozess. Ihr Gehirn kann gar nicht so schnell umschalten von „gerade noch lebend“ auf „jetzt schon tot“. Die Synapsen können das nicht so schnell nachvollziehen. Zu sagen (oder zu denken) „die wollen das nur nicht wahrhaben“, ist eine unzulässige Deutung; erst recht deswegen, weil oft die moderne Medizin vorher suggeriert hat: Wir können alles, wir können den Tod verhindern. Für die Angehörigen stirbt ihr Patient daher oft (subjektiv) „plötzlich“. Die Angehörigen brauchen also Raum und Zeit. Diese Zeit ist dann bereits ein Teil der Trauer. Die Professionellen in Krankenhaus und Klinik müssen nur einen ganz kurzen Teil dieser Trauer ermöglichen, der weitaus größere Teil wird außerhalb der Klinik gelebt. Da sind dann andere Helfer und Unterstützer zuständig.
Um diesen Zeitraum anschaulich zu beschreiben, hat die Trauerpädagogin Dr. Smeding (Amsterdam/Basel) den Begriff und das Bild von der „Schleuse“ geprägt. Das Leben kann man sich als Fluss vorstellen, auf dem das eigene Lebensschiff schwimmt. Der Tod ist wie ein Wasserfall im Fluss – und das Schiff droht hinunterzustürzen und zu zerschellen. Damit das nicht passiert, braucht es eine Schleuse, die das Schiff von einem Niveau (Lebens- und Sterbezeit) auf ein anderes Niveau senkt (Todes- und Trauerzeit). Die Helfer sind dabei „Schleusenwärter“: sie helfen mit, dass das Schiff gut in die Schleuse hinein- und am Ende gut wieder hinauskommt.
Trauerschleuse
Todesschleuse
Trauernde
Toter
Angehörige
Sterbender
Beerdigung
(schließt die hintere Tür, Verstorbener ist kremiert oder bestattet)
Todesfeststellung (schließt die vordere Tür unwiderruflich)
Der sterbende Patient gerät durch die Feststellung des Todes in die Todesschleuse. Diese wird für die Angehörigen zur Trauerschleuse, in der sie sich dem – vorher undenkbaren – Ereignis des Todeseintritts und der Wirklichkeit des Todes „soll sie/er wirklich tot sein? – er gehört doch zu unserem Leben…, ja, er ist wirklich tot“ annähern können. Die Angehörigen sind jetzt zwar in einer Art Schock, aber nicht wie im Traum oder Narkose, sondern selektiv hochaufmerksam und zugleich sehr bedürftig und oft hilflos. Sie sehen und empfinden den Verstorbenen oft noch als Lebenden (atmen, sich bewegen, frieren, sie anschauen…). Deshalb können sie mit ihm auch noch „kommunizieren“. Er/sie ist keine „Leiche“ sondern der Opa, die Tante…, die noch leibhaft da sind. Der Verstorbene bleibt ja auch nach dem Tod noch Adressat für Zuwendung, gute Gedanken, Berührungen.
Zu den konkreten Aufgaben im Umkreis des Todes
Vor Todeseintritt
- Arzt oder Pflegekraft sollten die Angehörigen fragen – wenn es soweit ist – „woran ist jetzt zu denken, was ist Ihnen dann wichtig? Was wäre Ihrem angehörigen Patienten wichtig?“
Nach Eintritt des Todes:
Die berufliche Zeit, die hier eingesetzt wird, ist kein Luxus, sondern das ist heilsam für die medizinisch-pflegerische „Behandlung“ des Todeseinbruchs in eine Familie!
- Pflege informiert Arzt/Ärztin in Kurzform (wenn der nicht der behandelnde ist/war) über die Umstände des Todes, wie der Patient mit seinem Sterben umgegangen ist und die Einstellung der Angehörigen. Möglichst nur das Gute sagen – die Angehörigen brauchen etwas Heiles im Unheilen.
- Dann Todesfeststellung durch den ärztlichen Dienst. Kurze Stille mit Blick auf den Toten.
- Vorstellung bei den Angehörigen, Beileidsbekundung, kurze Würdigung des Verstorbenen. („die Schwester hat mir gesagt, dass er sehr gekämpft hat…“, „er hat es nicht leicht gehabt“, „es ging jetzt doch sehr schnell…“) – Dann eine kurze Würdigung der Angehörigen. Ein Satz genügt meistens: „Gut, dass Sie so schnell kommen konnten“, „Das war keine leichte Zeit für Sie …“, „Schön, dass Sie dabei sein konnten“. Hinweis: „Wenn Sie noch etwas wissen wollen…“ – Erreichbarkeit.
Am Ende: eine letzte Geste beim Verstorbenen (kurze Berührung, ein paar Sekunden stehen bleiben…).
Achtung: Arzt/ Ärztin sollte nicht zu schnell „Unklare Todesursache“ diagnostizieren. Das damit ausgelöste Verfahren kann die Trauer der Betroffenen erheblich belasten.
Möglichkeiten für den Pflegedienst
- Angebot von Wasser, Kaffee…, Sitzgelegenheiten. „Ist es Ihnen recht, wenn ich mit Ihnen gehe – oder wollen Sie alleine sein?“… „Ist es so gut für Sie – oder brauchen Sie noch etwas?“ (telefonieren, Information) „Wer gehört noch zur Familie? Wer wäre noch gerne da, kann aber nicht/ kommt noch …?“
- Herrichten des Verstorbenen – ein „gutes Bild“ ermöglichen, Blumen, Fotos auf dem Nachttisch zurechtrücken…
Ansonsten darf das Zimmer ruhig nach medizinischen Bemühungen aussehen (es wurde „alles“ gemacht).
- Kommentierung des Sterbens, des Todeseintritts („er hat es geschafft…“, „sie hat es gut gemacht“) und Würdigung der Angehörigen (die brauchen jetzt ein gutes Wort, keinen falschen Trost, keine Verteidigung der Medizin…) z.B. „ Sie haben ihm die ganze Zeit beigestanden“; „Gut, dass Sie jetzt hier sein konnten“; „Sie haben sicher anstrengende Tage hinter sich…“. Bei eth. Entscheidung: „es war gut, dass Sie so entschieden haben…“.
- Hinweis für die Angehörigen, „Vielleicht möchten Sie ihm noch etwas sagen – still in Ihrem Herzen – einen Dank, ein Wort der Liebe, des Verzeihens, einen Wunsch… In unserem Herzen sind wir ja über den Tod hinaus verbunden…“.
- Weitere Hinweise: „Nehmen Sie sich ruhig Zeit…“- „Nachher können Sie noch mit dem Arzt sprechen – er hat gerade noch in einem anderen Zimmer zu tun“. „Sie können solange bei Ihrem Vater/ Ihrer Frau… bleiben, wie sie wollen“. Pflegekraft: „Ich sehe viel Frieden in ihrem/seinem Gesicht, können Sie das auch so sehen?“ „Wie haben Sie die letzten Tage erlebt?“ „Hatten Sie eine gute Zeit miteinander?“ „Wer war Ihr Mann/Vater…?“ (Keine Ablenkung: „Sie müssen aber jetzt an Ihre Kinder denken“ – oder: „Ihre Frau braucht Sie aber jetzt…“.)
- Es geht nur um die Hilfestellung und die Ermöglichung für die Angehörigen, die ja oft sterbe- und todunerfahren sind. Es braucht nicht viel Zeit, ist aber – wie Forschungen zeigen – unschätzbar wichtig für die Betroffenen und eine große Hilfe für die spätere Trauer, dass sie sich an etwas Gutes im Schlimmen erinnern können („Trittsteine“ für die Zeit der Trauer).
- Wie antworten wir auf „Als ich gerade mal draußen war, gerade da ist er gestorben. Hätte ich doch nicht…“? Hilfreiche Möglichkeiten (hier will eine Ressource gefunden werden, nichts Negatives):
-
- Zuerst auf die Gefühle, die Trauer, die Deutungen der Betroffenen eingehen, was sie gerne dem Sterbenden gegönnt und sie sich gewünscht hätten.
- Dann: „Wir erleben das oft, dass Patienten sterben, wenn niemand dabei ist. Wir denken, dass sie es ihren Angehörigen vielleicht nicht antun wollen. Aber letztlich wissen wir das nicht.“
- Wenn möglich: „Sie waren oft bei …, sodass er / sie in dieser Liebe / Zuwendung gut gehen konnte.“ Oder: „Es war sicher alles gut zwischen Ihnen, sodass er/sie gut gehen konnte.“ Oder: „Er hat sicher Ihre Liebe gespürt. Damit konnte er gut gehen.“
-
Woran noch zu denken ist.
- „Wie kommen Sie jetzt nach Hause? In diesem Zustand ist es nicht gut, wenn Sie selbst mit dem Auto fahren.“
- „Wer ist für Sie da, wenn Sie nach Hause kommen? Wie werden Sie es den kleinen Kindern sagen? Wie wird Ihre Mutter im Altenheim das aufnehmen?“
Einbeziehung der Seelsorge:
Die Station kann jederzeit über die Zentrale die Seelsorge rufen (lassen). Die Seelsorgenden sind erfahren in solchen Abschiedsgestaltungen, sie bringen auch genügend Zeit mit. Die Seelsorge der Unimedizin kommt auch, wenn die Angehörigen nicht kirchlich eingebunden sind und bietet ein einfaches Ritual an.
Sagen Sie als Angebot an die Angehörigen nicht „Sollen wir den Pfarrer rufen?“ Sondern: „Hier in der Klinik (bei uns auf der Station) unterstützen Sie die Seelsorger, die arbeiten hier mit. Ist es Ihnen recht, wenn wir jemand rufen?“
Es ist durchaus sinnvoll, dass sowohl der ärztliche Dienst sein kurzes Ritual macht (3 Minuten, mehr nicht!) als auch die Pflege eine erste Orientierungshilfe und Unterstützung gibt – und dann die Seelsorge einschaltet. Ein solcher Abschied hat dann verschiedene Stufen, die alle ihren Wert haben und die den Angehörigen helfen, die Wirklichkeit des Todes allmählich zu begreifen. Wenn die kommende Trauer besonders belastet zu werden droht (Suizid, plötzlicher Tod, mehrere Todesfälle in der Familie in kurzer Zeit, bei selbstverschuldetem Unfall, entstellendem Todeskampf, bei Depression, Herzerkrankung… der Hinterbliebenen) ist an „Risikotrauer“ zu denken. Hier sollte die Seelsorge oder ein psychologischer Dienst eingeschaltet werden.
Fazit: Die Pflege- und ärztlichen Dienste sind „Trauer-begegner“, keine Trauerbegleiter. Die oben beschriebenen Trauerhilfen brauchen nicht viel Zeit, nur eine qualifizierte Aufmerksamkeit, dann finden die meisten Menschen ihren Weg durch die Trauer.