Eine begriffliche Verhältnisbestimmung
Ich schlage vor, in einer ersten Perspektive unter „existenziell“ ganz wörtlich die Existenz, das Daseinkönnen eines Menschen in der Welt zu verstehen, das durch Krankheit und Sterben in Frage gestellt ist. „Existenziell“ meint dann das ganzheitlich zu sehende Betroffensein durch Krankheit und Schicksal. In einer zweiten Hinsicht wird „existenziell“ auch auf die großen und letzten Fragen des Daseins bezogen: auf das Woher und Wohin meines und des Lebens überhaupt und wer wir in diesem „Dazwischen“ sind. Bei letzterem Verständnis ist allerdings zu fragen, ob alle Menschen sich so fundamental mit ihrem Dasein auseinandersetzen, wie da soft behauptet wird, und ob nicht für viele das keine ausdrücklichen Themen sind, ob das z. B. auch für alltagspragmatisch eingestellte Menschen gilt oder für die, die sagen „ich kann auch ohne solche Gedanken leben“.
Unter „spirituell“ soll der deutende Umgang eines Menschen mit seinem Dasein und den damit verbundenen existenziellen Herausforderungen verstanden werden. Zum Dasein des Menschen gehört – in welcher Form auch immer -, sich selbst und seine Welt zu interpretieren (vgl. Baier (2012) Spiritual Care: 27). Daraus folgt die These: das existenzielle Empfinden eines Menschen ist nie neutral. Es ist immer mit der Beziehung verbunden, die ein Mensch zu seinem Dasein und zu seinem Dasein in der Welt empfindet und pflegt; wodurch er also sein Existieren ganz persönlich als bedeutsam empfindet und ihm – gedanklich oder durch seine Lebenspraxis – Bedeutung gibt. In diesem Sinn ist Spiritualität die Bedeutung suchende und Bedeutung gebende „Antwort“ eines Menschen, wenn er durch Schicksal und Sterben betroffen ist. So gesehen gehören im klinischen Kontext die „großen“ Fragen der Existenz, die nach dem Sinn des Daseins, nach dem Selbstverhältnis, nach Glück und Erfüllung, nach Krankheit, Schicksal und Tod bereits in den Deutungsrahmen der spirituellen Dimension.
Die Unterscheidung zwischen „existenziell“ und „spirituell“ halte ich deswegen für hilfreich, weil das Verständnis „letzte Fragen“ die Helfenden schnell sprach- und hilflos machen kann. Ist der Umgang mit solchen Themen doch weit jenseits ihres fachlichen Horizontes zu verorten. Es kann für sie verwirrend sein, worauf sie jeweils aufmerksam sein sollen: auf die großen Existenzthemen, für die sie keine „Antwort“ haben oder auf das Spirituelle, für das es durchaus methodisch geleitete Begegnungsmöglichkeiten gibt (wie in diesem Kurs zu lernen sein wird). – In der Begegnungspraxis freilich sind existenzielle uns spirituelle Erfahrungen nie jeweils in Reinform anzutreffen: Betroffensein und der deutende Umgang damit sind bei den Menschen in der Regel ineinander verwoben.