Schweigepflicht in der Seelsorge
Zwar unterliegen alle patientennahen Berufe einer Schweigepflicht bzgl. dessen, was der Patient ihnen anvertraut oder was sie durch ihre fachlichen Begegnungen direkt oder indirekt von ihm erfahren. Die Rolle der Seelsorge hat aber ihre eigene Problematik. Wenn Menschen eigens das Gespräch mit der Seelsorge suchen und dort etwas von ihrem Innersten offenbaren, dann dürfen sie zu Recht absolute Vertraulichkeit erwarten. Das seelsorgliche Gespräch wird dann von vornherein mit dem Kontrakt der amtlichen Verschwiegenheit geführt. Dies gilt also für alle Fälle, in denen Menschen die Seelsorge gerade wegen deren Schweigepflicht aufsuchen. Es gibt jedoch auch offene Formen der seelsorglichen Begegnung und Begleitung wie z.B. in palliativ care, bei denen der Patient direkt oder indirekt darüber informiert ist, dass die Seelsorge zur ganzheitlichen Betreuung dazugehört. Diese fallen dann nicht automatisch in die Kategorie Beichtgeheimnis und absolute Vertraulichkeit. Natürlich ist auch bei der offenen Form zu bedenken, welche Vertraulichkeit ein Patient jeweils mit „Seelsorge“ verbindet und was er unausgesprochen voraussetzt.
Von Seiten der kirchlichen Dienstgeber wird diese Differenzierung der Seelsorge-Kontakte zur Zeit nicht überall vorgenommen. Da die Pflicht zur Verschwiegenheit oft in engem Bezug zum Zeugnisverweigerungsrecht gesehen wird, wird das Amtsgeheimnis sehr defensiv und restriktiv interpretiert. Danach gilt die Vertraulichkeit grundsätzlich für jede seelsorgliche Begegnung. Auch wenn Seelsorge, wie im Fall der Palliativarbeit, zum versorgenden Team gehört, müsste sie sich im Unterschied zu den anderen Professionen danach prinzipiell auf das Seelsorgegeheimnis berufen und eine Sonderrolle beanspruchen.
Die therapeutischen Berufe dürfen aus ihrer Sicht andererseits zu Recht erwarten, zu erfahren, ob und welche Ansprechpartner der Patient für seine Ängste und Nöte hat. Zudem möchten sie das Wissen und die Einschätzung der Seelsorge über die Befindlichkeit, über biographische Faktoren und über die Krankheitsbewältigung für eine gute Versorgung des Patienten nutzen. Die Spannung zwischen den dienstlichen Vorgaben der Kirchen und dem therapeutisch Wünschenswerten lässt sich zur Zeit nicht auflösen. Der Kernwert Vertrauen ist schließlich ein besonderes Merkmal der Seelsorge. Es wäre aber zu wünschen, dass dieser Wert differenziert zur Geltung kommt. Wenn Seelsorge zum Team gehört, dann müsste sie wie jeder der anderen Berufe sich auf die Schweigepflicht aller Professionen nach außen hin berufen können. Der Seelsorgeperson muss dann zugetraut werden, dass sie einschätzen kann,
- was der absoluten Geheimhaltung bedarf und was ihr mutmaßlich unter diesem Vorzeichen anvertraut wurde,
- was sehr intim ist und nichts zur Versorgung des Patienten und seiner Familie beiträgt,
- was ohne Inhaltsangabe in seiner allgemeinen Bedeutung für eine gute Gesamtversorgung innerhalb der Teamstruktur wichtig ist, und
- was offensichtlich nicht der Geheimhaltung bedarf (z.B. weil alle sehen, wen Seelsorge öfter besucht).
Alle im Team, vor allem die Seelsorgenden, müssten dann darauf achten, wie über sehr persönliche Probleme und Werte eines Patienten gesprochen und ob deren Bedeutung sensibel aufgenommen und respektvoll (das gehört zur Vertraulichkeit, die der Patient von allen Berufsgruppen erwarten darf) wahrgenommen wird.
Auf keinen Fall sollten die anderen Behandler etwas aus dem Seelsorgebereich explizit dem Patienten gegenüber verwenden („Ich habe von der Seelsorge gehört, dass Sie … „) sondern es nur implizit in die Versorgung einfließen lassen.
Zum Thema Schweigepflicht und Dokumentation muss sicher noch weiter diskutiert werden, was dies unter den Bedingungen einer strukturellen Mitarbeit für die Seelsorge bedeutet. Es ist zu wünschen, dass im wohlverstandenen Interesse des Patienten ein Ausgleich gesucht wird zwischen der Schutzpflicht auf der einen und der Intention einer ganzheitlichen Behandlung auf der anderen Seite. Die Frage bleibt vorerst, wie die normativen Vorgaben in eine gute Kooperationspraxis einmünden können. – Seelsorgende sollten sich über die Vorgaben ihrer jeweiligen kirchlichen Dienstgeber kundig machen, um mögliche Spielräume in ihrer Mitarbeit im Team nutzen zu können. – Im Zweifelsfall kann der Seelsorgende auch jetzt schon mit Patienten und Angehörigen direkt klären, was wie ins Team gelangt und was es braucht, damit es dort gut aufgehoben ist. Mit einer schriftlichen Einverständniserklärung ist er auf jeden Fall auf der sicheren Seite.
Dokumentation
Eine Dokumentationspflicht gilt zunächst nur für die medizinisch-pflegerischen Professionen. Die Seelsorge unterliegt in diesem Sinn keiner Verpflichtung zur Dokumentation. Sie ist in dem Vertrag zwischen Klinik und Patient, bei dem zu medizinischen Zwecken die Daten des Patienten erhoben und dokumentiert werden, nicht eingeschlossen. Wenn sich aber, wie in den letzten Jahren durch die Palliativkonzepte die Behandlungsphilosophie weiterentwickelt hat, müsste auch Seelsorge sich in die neue Praxis einfügen. Da sich die Anwesenheitszeiten der verschiedenen Dienste oft nicht überschneiden, sollten sich die anderen Teammitglieder über wichtige Beobachtungen und Erkenntnisse der Seelsorge informieren können. Wie unter dem Abschnitt „Schweigepflicht“ diskutiert, müsste der Seelsorgende die Eindringtiefe bei seiner Informationsweitergabe selbst bestimmen können. Wenigstens das Dass und Wann von seelsorglichen Kontakten sollte festgehalten werden. Einer Dokumentation der Häufigkeit und Dauer seelsorglicher Tätigkeit bei Patienten als Nachweis dem Träger oder einer Krankenkasse gegenüber ist unter Datenschutzgesichtspunkten unproblematisch, solange sie nicht personbezogen sind. Es ist sogar wünschenswert, dass Seelsorge – auch aus Finanzierungsgründen – ihre Mitarbeit als wichtigen Teil der Versorgung ausweist.
Brauchen Seelsorgende für die Arbeit in Palliative Care eine spezifische Ausbildung?
Grundsätzlich gilt: Krankenhausseelsorger sind heutzutage in der Regel so gut ausgebildet, dass von allen auch die Arbeit im palliativen Kontext erwartet werden kann. Die Palliativstruktur fordert „nur“ manche Fähigkeiten verschärft heraus: die strukturierte Mitarbeit in einem Team, die Fähigkeit, sich des eigenen Berufsprofils bewusst zu sein und es deutlich darstellen und einbringen zu können; mit den anderen Berufen Kompetenzen in spiritueller Begleitung zu erarbeiten; Kenntnisse über Trauerverläufe, über Sterben, Tod und Trauer in anderen Religionen; Ritualkompetenzen; Begleitung der Mitarbeiter, die mit häufiger Leid- und Todesbegegnung konfrontiert sind; multiplikatorische Fähigkeiten. Es ist sicher hilfreich, wenn der Seelsorgende allgemeine Kenntnisse hat über physische Prozesse des Sterbens, die notwendigen Handlungen nach dem Tod, auch z.B. wieviel Zeit die Angehörigen für Verabschiedung und eventuell Aufbahrung zu Hause haben. Statt sich jedoch darüber hinaus vertieftes medizinisches und psychotherapeutisches Wissen anzueignen, sollten Seelsorgende ihre eigene Wahrnehmung für den Patienten schärfen und das Wahrgenommene mit anderen Berufen austauschen und gegebenenfalls die Fachleute fragen und sich für deren Zugänge zum Patienten interessieren. Aus solchen Beziehungen erwächst sicher auch eine klarere Wahrnehmung dessen, was die Arbeitsweise der Seelsorge ist und wohin man eigene Anliegen delegieren kann. Solches Interesse vertieft eher das gegenseitige Verständnis und das Vertrauen. Seelsorgende sind gerade auch angesichts des Sterbens keine Allrounder, die über alles Bescheid wissen, auch keine Sterbespezialisten. Sie lernen eher „nebenbei“ („learning by doing“) und in Beziehung zu den Tätigkeiten und Kompetenzen anderer. Berufsbegleitende Fortbildung und Vertiefung empfiehlt sich allemal, ist aber keine eigene Voraussetzung für die Arbeit.
. Mitarbeit bei ethischen Entscheidungen am Lebensende
Die Verantwortlichen in Hospiz- und Palliativversorgung erwarten von der Seelsorge auch ethische Beratungskompetenz. Hierbei muss allerdings differenziert werden zwischen dem Seelsorger als (ausgebildetem) Ethikberater mit entsprechender Feldkompetenz einerseits und andererseits dem Beitrag der Seelsorge zur Ethikberatung aus spirituell-existenzieller Sicht (z.B. was der Patient oder seine Angehörigen für spirituelle oder religiöse Motive haben bzw. was für spirituelle Ressourcen, um eine Entscheidung auch durchzutragen). Seelsorgende werden bei der Auslegung einer Patientenverfügung oder bei der Weigerung des Patienten, Nahrung oder Flüssigkeit anzunehmen oder bei Sterbehilfewünschen des Patienten oder Angehöriger ihre Erfahrungen aus der Patientenbeziehung in die Beratung einbringen. – Seelsorge hat wohl eine genuine Affinität zur Ethik, aber Seelsorgende sind nicht per se Experten für Ethik in der Medizin.