Wenn ein Mensch gestorben ist – Ärztliches Handeln im Kontext der Feststellung des Todeseintritts
Arzt und Ärztin haben bei und kurz nach Eintritt des Todes eines Patienten – unabhängig vom Einschalten der Seelsorge – nicht nur eine diagnostische, sondern auch eine professionell helfende Funktion. Der Einbruch des Todes in eine Familie hat ja nicht nur eine sachlich-biologische, sondern vor allem eine eminent existenzielle Bedeutung. Hier teilen die ärztlichen Behandler nicht nur eine objektive Tatsache mit, sondern sie sind zugleich auch in ein existenzielles, das Leben der Angehörigen tiefgreifend veränderndes Ereignis involviert. Sie sind für einen Augenblick Vertreter der Menschheitsgemeinschaft, die ein Mitmensch jetzt verlassen musste und sie werden zu Zeugen für das Leid und die Trauer, die die Endgültigkeit des Todes bei den Betroffenen auslöst. – In dieser Situation brauchen die Umstehenden den Mediziner als Arzt, der dieses Ereignis nicht rein sachlich behandelt, sondern diesem existenziellen Augenblick Bedeutung gibt. Dem ärztlichen Beruf hat man sich und seinen Angehörigen in der Zeit der Krankheit anvertraut. Arzt und Ärztin haben das ganze Auf und Ab, die Ängste und Hoffnungen miterlebt. Von ihnen (und der Pflege) erhoffen sich viele Menschen, dass sie auch an diesem Tiefpunkt ihres Lebens mit ihrer Betroffenheit und Trauer wahrgenommen werden und dass dieser Augenblick nicht bedeutungslos und „leer“ bleibt (der „letzte“ Augenblick wird zum Anfang eines langen Trauerweges.) Untersuchungen zeigen, dass das ärztliche Handeln für die Angehörigen in dieser Situation eine wichtige Trauerhilfe für die Zeit weit über den Todeseintritt und weit über die Zeit in der Klinik hinaus hat. Die Präsenz der Professionellen ist ein nicht zu unterschätzender „Trittstein“ (stepping stone) für die Weiterlebetrauer der Betroffenen: sie kann als „Gutes im Schlimmen“ erlebt werden, wenn die Professionellen sich dann qualifiziert verhalten.
Die Präsenz von Arzt und Ärztin nach Eintritt des Todes ist daher nicht nur Funktionszeit, sondern auch heilsame ärztliche und pflegerische Behandlung. Sie hilft einer zusätzlichen Belastung der Trauer (wenn man in einer existenziell hochbedeutsamen Situation nicht wahrgenommen und validiert wurde) vorzubeugen.
Das Handeln von Arzt und Ärztin in dieser Situation braucht nicht viel Zeit: Bereits 3 Minuten reichen aus und sind doch höchst wirksam für die Betroffenen (und letztlich auch für die Fachleute selbst!)
Folgende Form bietet sich für Arzt und Ärztin an:
- Nach einer kurzen Vorstellung im Zimmer: Erste Vergewisserung, ob der Patient verstorben ist und Feststellung des Todes (Geräte, erste Todeszeichen). Eventuell behutsam die Augen des Verstorbenen schließen
- Eine kurze Stille mit Blick auf den Verstorbenen
- Sich den Angehörigen zuwenden: „Ihr Vater… ist gestorben“.
– Sein „Beileid“ bekunden: wortlos mit einer Geste/Berührung/ Zunicken
– oder mit der bekannten Beileidsformel oder: „mein Mitgefühl“ oder…
- Den Verstorbenen in wenigen Worten würdigen („er hat tapfer gekämpft“; „dass es jetzt doch so schnell ging…“; „er hat es nicht leicht gehabt…“ .)
- Eine kurze Würdigung der Angehörigen (die brauchen jetzt ein gutes Wort, keinen falschen Trost, keine Verteidigung der Medizin…) z.B. „Die Schwester hat mir gesagt, dass Sie ihm die ganze Zeit beigestanden haben“; „Gut, dass Sie jetzt hier sein konnten“; „Sie haben sicher anstrengende Tage hinter sich…“. Bei eth. Entscheidung: „es war gut, dass Sie so entschieden haben…“;
- Eine letzte Geste beim Verstorbenen, kurze Berührung… und das Angebot, draußen noch zu einem Gespräch bereit zu sein.
Kann der Arzt, die Ärztin in der Todesstunde nicht anwesend sein, bietet sich ein späterer kurzer Telefonanruf oder eine Kondolenzkarte (vielleicht mit Standard-Formulierungen, weil es dann einfacher geht) an, eine nicht zu unterschätzende Möglichkeit der Trauerunterstützung. Im Übrigen sollte für den Abschied am Totenbett an die Einbeziehung der Seelsorge gedacht werden. Diese hat Erfahrung damit, den Beginn der Trauer angemessen zu gestalten – auch wenn Menschen nicht der Kirche angehören oder ausdrücklich religiös sind. Aber die Abschiedsgestaltung durch die Seelsorge ersetzt nicht das 6-Punkte Programm des ärztlichen Dienstes.
Wenn Arzt und Ärztin mehr Zeit haben, können sie auch Elemente aus dem “Pflegeprogramm“ (siehe Beiblatt) übernehmen.
Literatur: Weber Martin, Weiher Erhard, Smeding Ruthmarijke (2008) Arzt und Trauer. In: Medizinische Klinik 103: 523 – 529 (Nr. 7)