Alle patientenbezogenen Berufe begegnen den Lebens- uns Sinnsymbolen ihrer Patienten. Und alle müssen geschult werden, qualifiziert Resonanz zu geben. Das ist Aufgabe aller Berufe: den Patienten spüren lassen, dass er mit seiner Lebenseinstellung und Lebensleistung wertgeschätzt wird.
Was die nichtseelsorglichen Berufe nicht machen: die Alltagsspiritualität weiter zu erschließen und Lebens- und Glaubenskrisen zu bearbeiten. Die Seelsorge arbeitet ja auch nicht mit den Mitteln der Medizin …
Seelsorge geht bewusst und absichtsvoll dem „inneren Geist“ nach, der Spur zum inneren Geist dieses Menschen, aus dem heraus er sein Leben versteht und entwirft. Das ist der Focus der Seelsorge.
Wichtig ist dabei, dass jeder Beruf neben seiner funktionellen Rolle auch eine symbolische Bedeutung für den Patienten hat. Der kranke Mensch vertraut sich nicht nur der Fachkompetenz und der Persönlichkeit des Behandlers an, sondern vor allem der symbolischen Seite dieses Berufs. Der Arzt z. B. steht neben seiner Diagnose- und Behandlungsfähigkeit auch für Gut-Aufgehobensein, für Fürsorge und für die Ordnung des Lebens, in der man krank sein und evt. sterben kann. Deswegen gilt: Was ein Patient bei einer bestimmten Berufsrolle sagt, das sagt er zugleich in den Raum des Symbolischen hinein, das die jeweilige Rolle an sich hat. Er sagt es in diesen Horizont hinein, und in diesem Horizont bekommt dieser Mensch und sein Schicksal Bedeutung und von diesem Horizont holt sich der Patient Bedeutung. Die therapeutischen Berufe, die Zeugen für viele Schicksale von vielen Menschen sind, die können wohl ermessen und wertschätzen, was ich, der Patient und mein Leben und meine Krankheit für eine Bedeutung haben.
Der besondere Horizont der Seelsorge ist das „irgendwie Heilige“. Seelsorge repräsentiert das Heilige im Menschen, das Heilige dieses Schicksals, die Würde auch des Nicht-machbaren. Sie steht für das Heilige der Menschheit, das Heilige des Daseins. Die Rolle ist implizit ein Träger von und ein Medium für spirituelle Erfahrung. Für religiöse Menschen ist es das transzendent Heilige, der Heilige jenseits dieser Welt. Auch Patienten mit schwacher oder horizontaler Transzendenz-Vorstellung haben auch ihr Heiliges: z. B. was sie als Heiliges des Daseins in dieser Welkt, im Kosmos, in der Menschheit, im Göttlichen sehen. Diesen Horizont abzutasten und zugleich für den überweltlichen Horizont einzustehen und ihn zu repräsentieren, ist Aufgabe der Seelsorge. Dieser überweltliche Horizont kommt manchmal in den Vordergrund – oft bleibt er aber auch im Hintergrund, dann muss die Sprache der Zuwendung und der Liebe genügen. Dadurch, dass die Fachseelsorge diesen überweltlichen Horizont repräsentiert, kann sich der Patient damit auseinandersetzen und in Beziehung setzen. Seelsorge bleibt von ihrem Ansatz her nicht bei der Alltagsspiritualität stehen, sondern versucht, die Lebens- und Sinnsymbole der Patienten weiter zu erschließen auf Spiritualität bzw. Religiosität höherer Ordnung hin.
Erst recht ist Seelsorge geschult, auf die großen Fragen des Warum, der Schuld, der Lebensdeutung, der mit der Spiritualität verbundenen Identität, des gelingenden Lebens und auf Glaubenskrisen einzugehen und Menschen zur Lebensgewissheit in einem größeren Horizont zu helfen. – In ihren Ritualen hilft Seelsorge, das Gelingen und Scheitern einzubringen und dem Menschen die Integration auch des Unlösbaren zu ermöglichen. Sie segnet im Namen Gottes oder im Namen der Liebe oder im Namen des Lebens. Christliche Seelsorge steht dann für einen „Sinn“, auch wenn das Leben dieses Menschen nicht rund und sinnvoll war.
Seelsorge bedient die Spiritualität zwar nicht exklusiv, sie teilt den spirituellen Raum mit den anderen Berufen. Aber sie qualifiziert den Raum auf eigene Weise. Die „Melodie“, die der Patient auf dem „Instrument“ des ärztlichen oder psychotherapeutischen Berufs spielt, ist eine andere als die Melodie, die sich durch den Resonanzkörper der Seelsorgerolle ergibt. Jeder Beruf steht für ein anderes Resonanz-Instrument und damit für einen anderen Bedeutungshorizont. Aus dem jeweiligen Bedeutungshorizont holt sich der Patient Bedeutung. Entscheidend ist also, in welchen Sinnhintergrund hinein der Patient erzählt, und von welchem er Würdigung empfängt. Also ob der Sinnhintergrund mehr vom medizinisch-Körperlichen, oder vom therapeutisch-Psychischen oder vom gestaltbar-Sozialen oder vom Spirituellen bestimmt wird. Das erzählte Material scheint bei allen Berufen dasselbe zu sein. Aber es bekommt durch die jeweilige „Felddynamik“, durch die Symbolik der jeweiligen Berufsrollen jeweils eine eigene Qualität und damit eine je eigene Ressourcenkraft. Das „Material“ ist das gleiche, aber nicht das selbe. Patienten brauchen von allen Berufen deren rollenbasierte Ressourcenkraft. Auch in spiritueller Hinsicht.
Insofern machen alle Spiritual Care – in der Regel eher in impliziter, weniger in expliziter Form. Die Fachseelsorge macht das auf spezifische Weise mit eigenem Ressourcenpotenzial. Das der Seelsorge ist spezifisch die Spiritualität. Es geht also bei Spiritual Care nicht einfach um Zuständigkeit („das dürfen die anderen nicht“), auch nicht nur um fachliche Fähigkeiten, auf existenzielle und spirituelle Themen einzugehen oder sich dort auszukennen. Es geht vielmehr um die Übertragungsmöglichkeiten, die der Patient mit diesem Beruf verbindet – und von dem er sich jeweils Bedeutung, Trost und Würdeempfinden holt. Dafür sind die verschiedenen Sinnhorizonte der Berufe da und zur Verfügung.
(Erhard Weiher 2022)
Was unterscheidet die Seelsorge von der allgemeinen, der unspezifischen Spiritual care?
Alle patientenbezogenen Berufe begegnen den Lebens- uns Sinnsymbolen ihrer Patienten. Und alle müssen geschult werden, qualifiziert Resonanz zu geben. Das ist Aufgabe aller Berufe: den Patienten spüren lassen, dass er mit seiner Lebenseinstellung und Lebensleistung wertgeschätzt wird.
Was die nichtseelsorglichen Berufe nicht machen: die Alltagsspiritualität weiter zu erschließen und Lebens- und Glaubenskrisen zu bearbeiten. Die Seelsorge arbeitet ja auch nicht mit den Mitteln der Medizin …
Seelsorge geht bewusst und absichtsvoll dem „inneren Geist“ nach, der Spur zum inneren Geist dieses Menschen, aus dem heraus er sein Leben versteht und entwirft. Das ist der Focus der Seelsorge.
Wichtig ist dabei, dass jeder Beruf neben seiner funktionellen Rolle auch eine symbolische Bedeutung für den Patienten hat. Der kranke Mensch vertraut sich nicht nur der Fachkompetenz und der Persönlichkeit des Behandlers an, sondern vor allem der symbolischen Seite dieses Berufs. Der Arzt z. B. steht neben seiner Diagnose- und Behandlungsfähigkeit auch für Gut-Aufgehobensein, für Fürsorge und für die Ordnung des Lebens, in der man krank sein und evt. sterben kann. Deswegen gilt: Was ein Patient bei einer bestimmten Berufsrolle sagt, das sagt er zugleich in den Raum des Symbolischen hinein, das die jeweilige Rolle an sich hat. Er sagt es in diesen Horizont hinein, und in diesem Horizont bekommt dieser Mensch und sein Schicksal Bedeutung und von diesem Horizont holt sich der Patient Bedeutung. Die therapeutischen Berufe, die Zeugen für viele Schicksale von vielen Menschen sind, die können wohl ermessen und wertschätzen, was ich, der Patient und mein Leben und meine Krankheit für eine Bedeutung haben.
Der besondere Horizont der Seelsorge ist das „irgendwie Heilige“. Seelsorge repräsentiert das Heilige im Menschen, das Heilige dieses Schicksals, die Würde auch des Nicht-machbaren. Sie steht für das Heilige der Menschheit, das Heilige des Daseins. Die Rolle ist implizit ein Träger von und ein Medium für spirituelle Erfahrung. Für religiöse Menschen ist es das transzendent Heilige, der Heilige jenseits dieser Welt. Auch Patienten mit schwacher oder horizontaler Transzendenz-Vorstellung haben auch ihr Heiliges: z. B. was sie als Heiliges des Daseins in dieser Welkt, im Kosmos, in der Menschheit, im Göttlichen sehen. Diesen Horizont abzutasten und zugleich für den überweltlichen Horizont einzustehen und ihn zu repräsentieren, ist Aufgabe der Seelsorge. Dieser überweltliche Horizont kommt manchmal in den Vordergrund – oft bleibt er aber auch im Hintergrund, dann muss die Sprache der Zuwendung und der Liebe genügen. Dadurch, dass die Fachseelsorge diesen überweltlichen Horizont repräsentiert, kann sich der Patient damit auseinandersetzen und in Beziehung setzen. Seelsorge bleibt von ihrem Ansatz her nicht bei der Alltagsspiritualität stehen, sondern versucht, die Lebens- und Sinnsymbole der Patienten weiter zu erschließen auf Spiritualität bzw. Religiosität höherer Ordnung hin.
Erst recht ist Seelsorge geschult, auf die großen Fragen des Warum, der Schuld, der Lebensdeutung, der mit der Spiritualität verbundenen Identität, des gelingenden Lebens und auf Glaubenskrisen einzugehen und Menschen zur Lebensgewissheit in einem größeren Horizont zu helfen. – In ihren Ritualen hilft Seelsorge, das Gelingen und Scheitern einzubringen und dem Menschen die Integration auch des Unlösbaren zu ermöglichen. Sie segnet im Namen Gottes oder im Namen der Liebe oder im Namen des Lebens. Christliche Seelsorge steht dann für einen „Sinn“, auch wenn das Leben dieses Menschen nicht rund und sinnvoll war.
Seelsorge bedient die Spiritualität zwar nicht exklusiv, sie teilt den spirituellen Raum mit den anderen Berufen. Aber sie qualifiziert den Raum auf eigene Weise. Die „Melodie“, die der Patient auf dem „Instrument“ des ärztlichen oder psychotherapeutischen Berufs spielt, ist eine andere als die Melodie, die sich durch den Resonanzkörper der Seelsorgerolle ergibt. Jeder Beruf steht für ein anderes Resonanz-Instrument und damit für einen anderen Bedeutungshorizont. Aus dem jeweiligen Bedeutungshorizont holt sich der Patient Bedeutung. Entscheidend ist also, in welchen Sinnhintergrund hinein der Patient erzählt, und von welchem er Würdigung empfängt. Also ob der Sinnhintergrund mehr vom medizinisch-Körperlichen, oder vom therapeutisch-Psychischen oder vom gestaltbar-Sozialen oder vom Spirituellen bestimmt wird. Das erzählte Material scheint bei allen Berufen dasselbe zu sein. Aber es bekommt durch die jeweilige „Felddynamik“, durch die Symbolik der jeweiligen Berufsrollen jeweils eine eigene Qualität und damit eine je eigene Ressourcenkraft. Das „Material“ ist das gleiche, aber nicht das selbe. Patienten brauchen von allen Berufen deren rollenbasierte Ressourcenkraft. Auch in spiritueller Hinsicht.
Insofern machen alle Spiritual Care – in der Regel eher in impliziter, weniger in expliziter Form. Die Fachseelsorge macht das auf spezifische Weise mit eigenem Ressourcenpotenzial. Das der Seelsorge ist spezifisch die Spiritualität. Es geht also bei Spiritual Care nicht einfach um Zuständigkeit („das dürfen die anderen nicht“), auch nicht nur um fachliche Fähigkeiten, auf existenzielle und spirituelle Themen einzugehen oder sich dort auszukennen. Es geht vielmehr um die Übertragungsmöglichkeiten, die der Patient mit diesem Beruf verbindet – und von dem er sich jeweils Bedeutung, Trost und Würdeempfinden holt. Dafür sind die verschiedenen Sinnhorizonte der Berufe da und zur Verfügung.
(Erhard Weiher 2022)