Wie Menschen Spuren zu ihrem Inneren legen
Zu dem, was sie erfüllt, zu ihrer ganz persönlichen spirituellen Erfahrung und Einstellung gewähren Menschen den Helfern einen Zugang, nicht erst, wenn sie von ekstatischen Emotionen oder meditativen Praktiken erzählen, sondern auf ganz alltägliche Weise, wenn sie Lebensgeschichte(n) erzählen und uns an ihren ganz alltäglichen Erfahrungen und Gedanken teilhaben lassen. Über scheinbar äußerliche Dinge legen sie Spuren zu ihrem Inneren und damit auch zu ihrer Spiritualität.
Dabei lassen sich 4 Ebenen unterscheiden, auf denen die Begleiter „hören“ können:
- Erstens: die Sach- oder Faktenebene. Menschen brauchen oft, um etwas aus ihrem Inneren zu äußern, etwas Sinnliches zum Vorzeigen und zum Benennen. Am Sachlichen machen sie etwas von ihrem Befinden fest.
- Zweitens: die Gefühlsebene. Menschen machen nur Aussagen, die für sie eine Bedeutung haben. Solche Aussagen sind in aller Regel mit Gefühlen und Empfindungen verbunden. Wir machen nur Aussagen, die emotional getönt sind. Das ist im Gehirn so verschaltet. Gefühle geben der Sache ihre Färbung. Auf diese Weise nutzen Menschen auch Sachaussagen und Sinnliches, um etwas von ihrer Gefühls- und Empfindungswelt zu zeigen. – Aber: die Innenwelt des Menschen ist nicht identisch mit seinen Gefühlen. Sie geht sozusagen nicht in „Psychologie“ auf.
- Drittens: die Identitätsebene. Mit ihren Äußerungen wollen Menschen auch etwas über sich selbst sagen, sich selbst inszenieren und damit etwas von ihrer Identität zeigen: „Sehen Sie mal, so jemand bin ich. So möchte ich von Ihnen gesehen werden (z. B. nicht nur als Patient … )“ könnte die Absicht des Patienten übersetzt werden. Also: worüber sich ein Mensch identifiziert, wie er gesehen werden will, wie er sich sieht, als wer er gelten will. Z. B. wollen Menschen, deren Identität durch Krankheit erschüttert ist, sich ihrer Identität versichern und noch „jemand sein“.
- Viertens: die spirituelle Ebene. In den Lebenserzählungen und Identitätsbekundungen zeigen Menschen auch etwas von dem, was für sie zutiefst bedeutungsvoll und erfüllend ist oder auch sie über sich hinaushebt. Was ihnen Sinn gibt oder gegeben hat, wie sie sich deuten und damit ihnen vor sich selbst, vor der Umwelt und vor dem Heiligsten Bedeutung gibt. Womit sie im Tiefsten oder Höchsten verbunden sind. Auf diese Weise zeigen Menschen etwas von Ihrer „Alltagsspiritualität“.
Auf diese Weise können die Lebensgeschichten der Menschen als Symbol für den Reichtum ihrer Seele gesehen und gelesen werden.
Zur Verwendung der 4 Ebenen in der Fortbildungspraxis.
Um einen möglichst weiten „Horizont“ zum Zuhören zu gewinnen, nicht sofort sich auf eine Interpretation festzulegen, sondern sein inneres Repertoire zum möglichst offenen Zuhören zu erweitern, ist es sinnvoll, mit den Kursteilnehmern einen „Möglichkeitsraum“ zu entwerfen: Was könnte auf der Sachebene, auf der Gefühlsebene, auf der Identitätsebene, auf der Spiritualitätsebene für diesen Menschen mit dem „Symbol“ (z. B. einem Schlüsselwort in seiner Aussage) verbunden sein? Wichtig ist: Es geht nicht darum, dass der Begleiter das Symbol selbst ausdeutet (z.B. was ein „Garten“ alles bedeuten kann), sondern was in einem Schlüsselwort an Identitäts- und Spiritualitätsgehalt für diesen Menschen enthalten ist. Wofür ein Mensch das „Symbol“ nutzt, um etwas über sich selbst und seine Sinnerfahrung zu sagen. Oft tritt das Symbol selbst in den Hintergrund und die Selbstaussage in den Vordergrund. Letztere kann sich als ganz anders erweisen als das Symbol auf den ersten Blick erscheint. Also: nicht, was ich meine, was das Symbol bedeutet, sondern was der Patient damit von sich und seiner Lebens- und Sinnerfahrung sagen will und wie er sich damit tiefer verstehen kann.
Erhard Weiher