Zum Inhalt springen

Trost und trösten

Warum ist es (neuerdings wieder) „erlaubt“ zu trösten?

Lange Zeit (Zeit der „Moderne“, der Psychologisierung … ) war das Trösten verpönt:

  • Verdacht, das Leid zuzudecken, zu überspielen
  • Verdacht des Vertröstens (Opium), Realität übergehen, statt sich mit ihrer Härte zu konfrontieren
  • Daher: „Trost“ oft negativ besetzt
  • Es sollte psychologisch aufgearbeitet werden, warum man so betroffen ist/ am Verlorenen hängt. Ziel: verstehen, was die Leiderfahrung mit der eigenen Lern-, Kindheits-, Bindungs-, Lebensgeschichte zu tun hat. Daher: das Unausweichliche akzeptieren lernen, ihm einen Platz in der Personentwicklung geben. („Der Tod ist der Tod, das Leben ist das Leben. Das ist eben so“)

Frage: Wo bleibt dabei das Existenzielle, das sich nicht aufarbeiten/ behandeln lässt? Der Mensch ist das Wesen, das „Blöße“ hat (H. Blumenberg). Es gibt das Unwiederbringliche. Existenz ist nicht per se sinnvoll. Daher braucht es eine Kompensationsstrategie für die Verletzlichkeit / Blöße / Endlichkeitserfahrung / das Ausgeliefertsein.

Keinen Sinn des Sinnlosen suggerieren – Trostgrenzen akzeptieren!

Über eine lange Zeit der Geschichte war Trost die einzige Möglichkeit, Leiden zu lindern. Medizin war lange eine Art „Palliativmedizin“.

Daher Ressourcenarbeit / Selbstwertarbeit als Gegengewicht gegen das Unlösbare / Nichtrevidierbare / gegen die Blöße (Weiher)

(in Anlehnung an: Haker H (2015) Vom Umgang mit der Verletzlichkeit des Menschen. In: Bobbert M (Hg.) Zwischen Parteilichkeit und Gerechtigkeit: 195-225.)

Trösten: Grundsätze und Unterscheidungen

  • Etymologie: Wozu man Vertrauen hat (trust). Consolatio: festigen, Festigkeit finden. D. h. Festigkeit in sich durch die Beziehung zu anderem.
  • „Trost ist der harte Kern religiöser Praxis“ (J. Habermas)
  • Derzeit wird Trost auch in der Psychologie wiederentdeckt (vgl. z. B. „Psychologie Heute“)
  • Trösten ist nicht Beratung (Beratung ist Weg- und Lösungs-orientiert)
  • Trost ist nicht: Abhilfe schaffen; Trost braucht es gerade da, wo Hilfe nicht möglich ist. Beim Unabänderlichen / Trauer das Leid nicht abnehmen, sondern „aufnehmen“. (Indirekt ist Trost natürlich eine Hilfe.)
  • Trost muss das Leid bestehen lassen, er versucht das „Leiden am Leiden“ zu lindern.
  • Auch die Trauer hat selbst Trostpotenzial, weil sie die Rückseite der Liebe ist. Daher: Raum für Trauer geben; sie ist die Art, die Liebe fortzusetzen.
  • Trösten ist nicht Wiederherstellen des vorherigen Zustandes, kein Ersetzen des Verlorenen.
  • Trösten ist nicht: bearbeiten, aufarbeiten, reflektieren, erklären.
  • Beim „Vertrösten“ will der Helfer aus der Situation rauskommen.
  • Die „Leiden“ kann man bearbeiten, „das Leid“ braucht Trost.
  • Trost in der Religion: AT und NT sprechen häufig von Trost. Glaube hat Trostpotenzial, aber seine Vermittlung funktioniert nicht per „Übertragung“. Seelsorge kann Trost nicht machen / geben, eher „wecken“; Trost entsteht im Patienten. Seelsorge ist eher Katalysator. Daher: Erschließungsarbeit, um im „inneren Geist“ des Patienten Trostquellen zu entdecken und mit dem „Geist“ der Religion in Verbindung kommen zu lassen.

Ziel des Tröstens

  • Dass der Klient wieder ein stabiles Selbstkonzept findet. Helfen heißt hier: dazu beitragen, dass er mehr zu sich kommt, Subjekt seiner Geschichte mit der Krankheit, der Trauer wird.
  • Dass der Klient in seinem eigenen „Seelenraum“ wieder Halt findet / evt. Ressourcen findet, die er im inneren Chaos alleine nicht gefunden hätte. (Menschen finden durchaus auch in sich Trostquellen!) „Chaos“ heißt: bei Überforderung, wenn die vertraute Lebenskonstruktion / die bisherigen Möglichkeiten, sein Gleichgewicht zu bewahren, nicht ausreichen.
  • Das Schwere ist dann noch da, aber es bekommt einen anderen Stellenwert im Klienten.
  • Dafür bietet der Helfer durch Beziehung für die Zeit der Begegnung seinen „Seelenraum“ sozusagen leihweise (Containing) an, damit der Klient sich darin ausklagen, ausweinen, austrauern, austräumen … und evt. wieder auf eigene Ressourcen stoßen kann.
  • „Container“: Der Begleiter ist Hilfs-Ich, Schutz-, Vertrauens- und „Halte-Gefäß“ das – nicht wie das eigene zerbrechliche „Ich“ – nicht so leicht zerbrechlich ist. Religion verheißt eine letzte Unzerbrechlichkeit. Die religiöse Rolle ist ein „Container“, die das Unzerbrechliche des Heiligen / Höchsten darstellt. Das gilt auch für den symbolischen Teil der anderen Berufsrollen (Arzt, Pflege … ).

Wie geht das? Trösten konkret

  • Meinen „Seelenraum“ vorübergehend al Klage-, Trauer-, Resonanzraum zur Verfügung stellen. Ziel: dass der Klient die Erfahrung macht, dass sein Empfinden „wahr“ ist, seine Würde hat, „Sinn“ hat, nicht im Leeren verhallt, vom Begleiter mitgetragen wird (dieser nicht davonläuft, sondern die Aushaltbarkeit / Tragbarkeit bezeugt). Dadurch kann der Klient wieder Vertrauen zu sich selbst finden, sich von der Übermacht seines Leides etwas „distanzieren“, sodass das „Leiden am Leiden“ anders erlebt werden kann, das Selbstbild neu entworfen werden kann. Das Schwere ist noch schwer, aber es gilt, die Identität (explizit wie implizit) zu stärken, um das Schwere tragen zu können (die „Tragflügel“ verbreitern, Rm. Smeding).
  • Ein anderes Bild: Das Leid des Anderen „in den Arm nehmen“ wie ein bedürftiges Kind, es symbolisch „übernehmen“ und „wiegen“. Der Begleiter nimmt das bedürftige „Kind“ selbst in seine Arme, schaut es an, erklärt es für anschauenswert und würdevoll – und gibt das „Kind“ dem Klienten „gewiegt“ zurück.
  • Ein weiteres Bild: „halten“, berühren, in Berührung bleiben (Containing). Ruhige Sprache, Geste (Vertrauen), Schweigen (empathisches, nicht bleiernes Schweigen), Dabei-Bleiben, Trostbedürftigkeit mittragen, ohne dass man Lösungen hat. Zeuge bleiben, keine Hoffnung suggerieren wollen.
  • Resonanz: spüren lassen, dass der Klient Wert hat, Bedeutung hat mit seinem Leid / Verlust.
  • Die Beziehung tröstet, nicht das kluge Wort an sich.
  • Die Trauer zulassen: wie bei dem Kind, das sich verletzt hat und das zur Mutter läuft. Die Mutter gibt keine Lösung, sondern reagiert mit „tse… tse“, wiederholt, „ja, ja, das ist schlimm“ (bestätigen: „Ja, so ist es“ – das Schlimme wird berührt). Das ist „Seelenraum“, Resonanzraum, Containment.
  • Real in den Arm nehmen? Wenn es echt ist und passt: Körperkontakt. „Nicht trösten wollen zu sollen.“
  • Oft findet der Klient den Trost in sich und will nur bestätigt werden. Das Zutrauen spüren lassen: Menschen gehen nicht sofort zugrunde, sie haben Fähigkeiten in sich, die es zu wecken und zu bestätigen gilt („wozu waren Sie heute / nach der Diagnose / trotz des Schlimmen … schon imstande / was haben Sie schon hingekriegt / ist Ihnen gelungen / war gut … ? Was haben Sie als Nächstes vor, was kann heute noch gut werden?).
  • Integrierende Bilder für Identität finden – als Gegengewicht zum Schlimmen.
  • Integrierende Erfahrungen: s. o..

Zugang zu den „Gefühlen darunter“ öffnen

Z. B. letzte Worte am Totenbett / Sterbebett (des Sterbenden, der Angehörigen)

Übergangsobjekte (Kerze mitgeben… )

Rituale, die Transzendenz in Anspruch nehmen

Psalmen, Klage, Gebet .. helfen trösten

Vor Gott dieser Situation, diesem Leid, diesem Menschen Bedeutung geben, von höchster Warte her würdigen

Den Schatz, die Perlen dieses Menschen bergen, spirituelle Quellen erschließen

Heimat, Vertrautheit geben: wie man als Kind gut aufgehoben war, das wird jetzt wieder gebraucht.

Aushalten des Untröstlichen /Untröstbaren

  • Auch die Berufsrolle hilft halten, trösten
  • Der Tröster nimmt den Trost nicht aus sich. Er nimmt vielmehr eine höhere Ordnung in Anspruch, „es wird alles gut“ (implizit!) (P.L.Berger). „Stellvertretungsspiritualität“.